Die Mobilität in Afrika ist im Begriff, über Zeit und Raum hinweg das Leben, Gemeinschaften und Vorstellungswelten neu zu gestalten. Da sich das Leben der Menschen an völlig unterschiedlichen Schauplätzen abspielt – in Zusammenhängen, die durch Reisen, Medien und die Verbreitung von Zielen, Erinnerungen und Werten geformt wurden – entsteht eine neue Art mobiler Urbanität und mobiler Zugehörigkeit. Innerhalb der Städte interagiert heute eine rasch wachsende, sich verändernde und mobile Bevölkerung in einer Weise miteinander, die sich weitgehend unberührt von staatlicher Regulierung oder vorgegebenen Sozialnormen entwickelt. Das Ergebnis ist eine Soziologie, die von Modellen für Solidarität, Integration oder Zugehörigkeit, wie sie in der klassischen Stadtsoziologie oder in aktuellen Debatten über kulturelle Vielfalt beschrieben wird, abweicht. Folgt man im weitesten Sinne dem französischen Soziologen und Ethnologen Émile Durkheimer, erscheinen diese Räume äußerst »anomisch«: relativ ungeregelt von amtlichen oder konstitutionelle Kräften und stark gegliedert in ethno-linguistisch geprägte Gesellschaftsschichten und in religiöse und politische Bindungen. Dennoch handelt es sich nicht um ursächlich antisoziale oder abgekoppelte Orte. Auch ihre Geschichten, Morphologien oder Verläufe sind in ihrer Art nicht einzigartig. Denn trotz ihrer Verschiedenartigkeit und ihrer Entfernung zueinander, sind sie miteinander verbunden: Sie sind Inseln, bestehend aus Menschen und Orten, die über räumliche und zeitliche Horizonte hinweg zusammenhängen.
Urbanität und Mobilität lassen sich in Afrika eher schlecht als recht mit den Mustern des industriellen westlichen Urbanismus in Einklang bringen. Daher erscheint es verlockend, afrikanische Städte mit malthusianischer Dystopie und Staatsversagen in Verbindung zu bringen. Prekäre Lebensverhältnisse und Elend sind an vielen afrikanischen Orten zweifellos vorhandene Themen, die angesichts eines rapiden Bevölkerungswachstums ohne verbesserte Beschäftigungsmöglichkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit noch dringlicher werden, als sie es bereits sind. In dieser problematischen Situation verleihen jedoch individuelle Bestrebungen und Mobilität potenziell Macht und bieten eine Möglichkeit des Widerstands und die Option eigene Netzwerke zu erweitern. Selbst dort, wo es wirtschaftlich nicht profitabel ist, trägt die Verbreitung von Familien, Gemeinschaften und Lebensentwürfen zu neu entstehenden sozioökonomischen und politischen Ordnungen bei. Einige Gruppierungen sind womöglich aus anderen zunehmend verschiedenartigen urbanen Zentren bekannt: ethnische Gruppen, die sich abschotten und Enklaven bilden; Nachbarschaftsverbände, die sich rund um Räume, Diskussionen oder Themen etablieren, aber auch Heimatstadtvereinigungen. Andere wiederum nehmen eine Form der Abkoppelung an, indem Individuen sich aktiv einer lokalen Integration widersetzen, während sie gleichzeitig Beziehungen aufbauen – platonische und persönliche, materielle und eingebildete –, die flüchtig sind oder weit verstreut sein können. Diese »neuen Möglichkeiten eines sozialen Lebens«[1] verstärken die Notwendigkeit, Individuen, Städte, Dörfer und Camps über vielfältige geografische und zeitliche Maßstäbe hinweg zu betrachten.
In ganz Afrika entwickelt sich mehr als nur der schlichte Translokalismus und die Transformation, die durch eine pendelnde Mobilität gefördert werden: von Menschen, die in die Stadt gehen, während sie in ländlichen Dörfern zum Zwecke wirtschaftlichen Aufschwungs und sozialer Angesehenheit investieren.[2] Solche Schwankungen bleiben bestehen, doch die aktuelle afrikanische Migration und Mobilität spiegelt infrastrukturelle, institutionelle und soziale Formen wider, die weit weniger stabil sind. Die bemerkenswerte Urbanisierung des Kontinents erzeugt eine kontinuierliche Mobilität, in deren Folge Menschen aufgrund von unsicheren Wohn- und Arbeitsverhältnissen regelmäßig ihren Lebensmittelpunkt und ihre sozialen Bindungen verändern oder unterstützende bzw. verpflichtende Beziehungen eingehen oder beenden.[3] Selbst jene, die sich nie sehr weit von ihrem Geburtsort entfernen oder sich in Flüchtlingslagern gefangen finden, sind nicht nur in bestimmten Räumen, sondern auch in einem überregionalen Bewusstsein »eingeschrieben«.[4] Solche Einschreibungen bieten eine globale Vorstellungswelt, die reale und fantasievolle Möglichkeiten gleichermaßen beinhaltet. Sie erzeugen Sehnsüchte und Frustrationen: ein Bewusstsein für Prozesse und Möglichkeiten andernorts und für die Barrieren, die den Zugang zu diesen erschweren. Geografische Bewegungen werden durch solche verschiedenartigen Vorstellungswelten, Visionen von einem Zuhause, Diasporen und anderen »zahlreichen Anderswos«[5] geformt.
Sogar die Orte, die am stärksten materiell unangetastet wirken, werden rasch Teil kontinentaler und globaler Archipele: Inseln von Raum und Zeit, die durch materiellen Austausch, soziale Anerkennung, moralische Werte und Zukunftsvorstellungen miteinander verbunden sind.[6] Wie verfälscht auch immer Bilder, Nachrichten, Geld, Güter und Geräte laufend ankommen mögen: Diejenigen, die sie erhalten, betten sie in räumliche Praktiken und Wahrnehmungen ein, die wiederum Wahrnehmungen von Möglichkeiten formen und Maßgrößen von Erfolg und Misserfolg hervorbringen. Dieses Verhalten sorgt dafür, dass nur wenige Menschen in Afrika unabhängig sind von Geld, Information oder Status von anderen Orten oder Zeiten.[7] Selbst jene, die vom Kreislauf der Güter ausgeschlossen sind, werden durch die Mobilität von Ressourcen, Ideen und Werten beeinflusst. Sie laufen Gefahr, wirtschaftlich ausgegrenzt zu werden – etwa wenn Nachbarn Wohlstand und Möglichkeiten anhäufen – oder sich für ihre Ausgeschlossenheit und ihren Provinzialismus schämen zu müssen.
Innerhalb der expandierenden Städte des Kontinents gelten die Menschen beinahe überall als weltläufig, selbst wenn sie den Stadtteil, in dem sie wohnen, kaum verlassen. Zunehmend sehen wir verschiedene Formen fragmentierter und dennoch miteinander verbundener Systeme moralischer Autorität mit einem Schwerpunkt auf Individuen, die Knotenpunkte in Raum und Zeit überspannenden Netzwerken sind.[8] Jeanne Vivet und ihre Kollegen beschreiben die Stellung einer hiesigen Autoritätsperson: Alhaji Abdullahi Salihu Olowo, »der den Titel Oba Yoruba Kano trägt. Um eine traditionelle Loyalität gegenüber seiner Heimatstadt Ilesha – in der er nie gelebt hat – aufrechtzuerhalten, führt Olowo den Titel der Stammeszugehörigkeit, akzeptierte aber auch den muslimischen Hausa-Turban als Symbol für seine Autorität, um über die Yoruba in Kano zu herrschen«.[9] Alle unter seiner Führung bleiben gewissermaßen Dorfbewohner mit urbanen Merkmalen: Stadtbewohner, die gleichzeitig ihren Status an verschiedenen Orten – einige städtisch, einige ländlich – erhalten müssen, selbst wenn sie dort nie waren oder nur gelegentlich zu Besuch sind.[10] Anderswo besuchen Menschen die Kirche, gehen zu Gemeindeversammlungen oder helfen bei der Überführung von Toten, um ihren Status in Dörfern zu erhalten, die sie ansonsten nur hin und wieder besuchen. Die Abkoppelung von entfernten Verwandten und Projekten trennt sie nicht nur von den Stätten ihrer Vorfahren, sondern entfremdet sie möglicherweise auch von jenen, die in solch überregionale Systeme wirtschaftlicher und sozialer Erneuerung eingebunden sind. Die Menschen »zu Hause« vor den Kopf zu stoßen, kann Türen in der Stadt ebenso rasch verschließen wie auch Schande in urbanen Stadtgebieten die Möglichkeit einer »Rückkehr« blockieren kann. An Orten, wo Menschen vielfältige, unterschiedliche und dennoch miteinander verbundene soziale Welten überspannen, reisen Status und Stigma stets mit und gestalten das, was möglich ist und das, was erwartet wird.[11]
Es sind jedoch nicht nur prekäre Lebensverhältnisse und Aspekte der aktuellen Urbanität, die eine subjektive Sicht formen. Für Stadtbewohner, Wanderarbeiter, Vertriebene und diejenigen, die sich kaum fortbewegen, sind imaginäre Räume und Zukunftsvisionen oft von kolonialen und postkolonialen Diskursen über Moderne und Fortschritt geprägt: von religiös geprägten Männlichkeitsbildern; von einer Raumplanung, die Lebensweise und Standort mit den Lebenschancen in Zusammenhang bringt; von materiellen Erfolgsparametern.[12] Menschen verbinden diese Ansprüche in zunehmendem Maße mit fantasievollen Bildern jüngster Errungenschaften: dem Reichtum in »Nollywood«-Filmen, Hip-Hop-Videos oder Selfies von Freunden oder Verwandten, die Erfolge vortäuschen und im Widerspruch zur materiellen Realität stehen.
Die Pfingstbewegung, eine der einflussreichsten sozialen Bewegungen in Afrika, ist der vielleicht stärkste Antrieb für die Zugehörigkeit zu einem Archipel. Obwohl der Platz hier nicht ausreicht, um die Unterschiede von Glaubenszeugnissen und Predigten in einer Messe, die einen ganzen Tag dauert, wiederzugeben, so baut doch die Mehrzahl auf den engen Verbindungen zu Institutionen in Nigeria, Ghana, dem Kongo und den Vereinigten Staaten auf. Für viele Kirchengründer – oft selbst Migranten – ist die aktuelle Kanzel bloß ein Ort, von dem aus sie in ein globales soziales Universum eintreten können. Ein nigerianischer Pastor der Mountain of Fire and Miracles Church in Johannesburg formuliert es so: »Afrika hat die Form einer Pistole, Nigeria ist der Abzug und Südafrika die Mündung, aus der du das Wort Gottes hinausschießen kannst.« Predigten stehen oftmals im Widerspruch zu geltenden Grenzen, unverhohlen leugnen sie die Rechtmäßigkeit von Landesgesetzen und sprechen gleichzeitig von den Gefahren örtlicher Verbindungen. Sowohl der Staat als auch die Befleckten sind Feinde der Erlösung.
Bei ihrem Gebet greifen die Gemeindemitglieder auf eine vielfältige liturgische Sprache zurück, um Ansprüche an Städte zu stellen, während sie diese in einen ephemeren, überhöhten und entwurzelten Zustand erheben, in denen sie örtlich begrenzten sozialen und politischen Verpflichtungen entfliehen können. Das ist eine Art von partikularistischem, provinziellem Kosmopolitismus, der nicht unbedingt auf einer normativen Vorstellung von »Offenheit« beruht oder dazu angetan ist, allgemeingültige Werte − egal welcher Art − zu fördern. Stattdessen werden hier die Sprache und die Bilderwelt einer globalen kosmopolitischen Elite aufgegriffen – Flugzeuge, Autos, Anwesen, endlose Reisen –, um sich selbst mittels Diskursen, die den Einzelnen mit bestimmten und unbestimmten Orten in dieser und der nächsten Welt verschmelzen, als Global Player zu positionieren.[13] Ihre Kirchen in Städten wie Nairobi, Lagos oder Johannesburg verbinden sie mit anderen in Alabama oder in den Pariser Banlieus. Ein solcher Ansatz hinterlässt die Anhänger oftmals – wie beabsichtigt – »zwischen den Stühlen, ohne jedoch den einen oder anderen wählen zu können, […] an vielen Welten teilnehmend, ohne Teil von ihnen zu werden«.[14] Diese Botschaften beinhalten die Möglichkeit, in verschiedenen Räumen zu leben: dem Raum, in dem man sich befindet, und in dem globalen Raum. Die Kirche verdichtet hier zudem verschiedene Formen der Zeitlichkeit: den alten Kampf zwischen Gut und Böse, der zum Tod Jesu geführt hat; ein Tod, der es Jesus gestattete, seine Anhänger mit Erfolg im Hier und Jetzt zu versehen als eine Art Anzahlung für die ewige Gnade.
Ob nun liturgisch oder allgemein, vom aktuellen Zeitgeschehen oder historischen und kulturellen Belangen geprägt: Die Vorstellung von einem Archipel beinhaltet Merkmale des Erfolgs, die oft in enger Verbindung zu einer geografischen Mobilität stehen, beispielsweise der Umzug vom Dorf in die Stadt, der Umzug über Grenzen hinweg, eine Reise nach Europa oder Amerika. Aufgrund wirtschaftlicher Umstände – vor allem eine prekäre soziale Situation und eine fehlende Anstellung[15] – sowie Formen wirtschaftlicher oder erzwungener Sesshaftigkeit, erfahren Menschen das, was Ramakrishnan als »raumzeitliche Störung« bezeichnet, »wobei ihre Zukunft in der Stadt in Unsicherheit festgefahren und unveränderbar bleibt und schlussendlich Vorstellungen von einer Zugehörigkeit und einem Stadtmanagement beeinflusst«[16]. Unter solchen Umständen wechseln Menschen ihren Wohnort zwar vielleicht in der Erwartung, ihre Situation verbessern zu können, sie fühlen sich jedoch außerstande, den nächsten Schritt zum Erfolg zu tun. Ohne solche Erfolge können sie nicht »nach Hause« zurückkehren, doch auch nach vorne führt kein Weg. Andere wiederum warten einfach auf staatliche Leistungen oder von anderer Seite.[17] Cindi Katz charakterisiert die sudanesische Jugend als »im Stich gelassen von der Moderne«.[18] Menschen können auch dann in der Zeit gefangen sein, wenn sie endlose, leere Tage durchleben, die immer wieder von der Panik geprägt sind, ihre geografischen oder materiellen Ziele nicht erreicht zu haben.
Nirgendwo ist das Risiko, in Raum und Zeit gefangen zu bleiben, deutlicher ausgeprägt als in den Archipelen der Flüchtlingslager auf dem Kontinent als eine besondere Form der globalen humanitären Urbanismus.[19] Obwohl sie oftmals für eine Generation oder sogar länger räumlich an einen Ort gebunden sind, bleiben die Einwohner dieser weggerückten Städte in ihren Geschichten, ihrer Siedlungsgeografie und in den Schaltkreisen von Macht und Bedeutung in Washington, Brüssel oder London, verhaftet.[20] Eine solche Siedlungsdichte drängt Menschen auf eine Art und Weise zusammen, die soziale Spaltungen und Brüche hervorruft, Unruhen befördert und die soziale sowie materielle Produktion verändert. Sie sind sowohl körperlich von den Lebensmitteln und Medikamenten internationaler Hilfswerke abhängig als auch in Bezug auf ihre Hoffnung für die Zukunft, die nur dann möglich ist, wenn globale Eliten ihr Leiden und ihre Sehnsucht verstehen. Sie hoffen auf ein Verständnis, das höchstwahrscheinlich nie eintreten wird, und doch verbindet ihre Hoffnung sie ausdrücklich mit einer Zukunftsvorstellung, in der sie ihrer De-facto-Gefangenschaft entkommen können, aus dem »merkwürdigen Schwebezustand des Lagerlebens«[21] hinaus. In vielerlei Hinsicht sind diese geografischen und temporären Archipele Fiktionen, da die Anerkennung, die sie anstreben, von einer Weltgemeinschaft kommen soll, die zunehmend zufrieden ist mit ihrer Beherrschung des Planeten. Dennoch sind die Flüchtlinge – oder zumindest einige von ihnen – in ein globales System von Kreislauf und Sinn eingeschrieben und integriert.
Fazit: Mobilität, Eingrenzung und die Entstehung von Afrikas zukünftiger Identität
Die Mobilität in Afrika definiert den Stadtraum, die Gesellschaft und die Dimension von Politik neu. Was soll aus diesen miteinander verbundenen Inseln der Raum-Zeit werden? Angesichts zahlloser unvorhersehbarer Faktoren wird die Zukunft von Menschen und der Räume, die sie erschaffen, Zeit benötigen, um »eine Lösung für sich selbst zu finden«.[22] Eine weltläufige oder pendelnde Lebensweise, eine Vorstellung von der Diaspora und eine Politik über Grenzen hinweg werden möglicherweise zur neuen Normalität. Séverine Awenengo Dalberto und andere erinnern uns jedoch daran, dass es nicht nur eine afrikanische Geschichte gibt und auch nicht nur eine Zukunft geben wird.[23] Afrikanische Siedlungen gehen auf völlig verschiedene Ursprünge zurück: Einige haben eine tief verwurzelte Geschichte, die mit Handel und Austausch verbunden ist, andere waren als koloniale oder postkoloniale Verwaltungszentren angelegt. Mangels stark vereinheitlichender Bereiche von Marktintegration, leistungsfähiger politischer Prinzipien oder effektiver formaler Institutionen stellen gegenwärtige Mobilitätsmuster womöglich eine Form der »kritischen Verbindungsstelle«[24] dar, in der einige durch koloniale oder postkoloniale Regimes etablierte Muster überwältigt, überkommen oder schlicht grundlegend umgeformt werden können: eine Periode von »Offenheit und Möglichkeiten«.[25] Während die Unterschiede weiterhin bestehen bleiben werden, ist jedoch die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass sich die Mobilität zwischen diesen Standorten stabilisiert und eine Isomorphie ausbildet, die Verbindungen konzentriert und Archipele etabliert. In der von Schmid (2014) und anderen beschriebenen weltweiten Urbanität werden Gesellschaften auf einer Mikroebene und Projekte auf familiärer und individueller Basis globale Formen von Ausnutzung, Ausschluss und Erwartung verwirklichen und umformen.[26]
Die Mobilität in Afrika wird nicht nur von Afrikanern, ihren Anführern oder globalem Kapital bzw. kulturellen Strömungen gestaltet. Infolge der europäischen Flüchtlingskrise die in den Jahren 2015 und 2016 ihre Spitze erreichte, erleben wir den Versuch, eine afrikanische Raum-Zeit neu zu definieren, angetrieben durch eine Reihe aufgezwungener Kontrollen und durch Prozesse einer Subjektivierung, die eine Art von außen auferlegter Isolation nach sich ziehen können. Zunächst werden enorme Ressourcen aufgewendet, um Grenzen zu militarisieren und die Migration aus mehr als einem Dutzend afrikanischer Länder – oder durch diese hindurch – zu verhindern. Das bedeutet eine grobe Nötigung, intensive nachrichtendienstliche Interventionen und neue Wissenstechnologien, die Prozesse, Orte und Menschen ans Licht bringen werden, die bis dahin bürokratisch unsichtbar und dem globalen Blick verborgen geblieben waren. Schlussendlich wird dieses Wissen wohl in eine Periode der »Eindämmungsentwicklung« führen, mit dem Ziel, Bewegungen zu kontrollieren und Sesshaftigkeit zu normieren, indem Sehnsüchte und Bewegungsbahnen von Afrikanern geografisch lokalisiert werden. Unter dieser sich ausbildenden Überschrift werden jene, die sich außerhalb Afrikas befinden, die Abkoppelung der Afrikaner als Erfolg definieren. In dieser neu konfigurierten, jedoch nur gedachten Raum-Zeit[27] werden Afrikaner von der Bewegungsfreiheit, die dem globalisierten Spätkapitalismus zugrunde liegt, ausgeschlossen sein.
Obwohl in Europa womöglich das Bild vorherrscht, Afrika sei von globalen Vorstellungswelten und Temporalitäten abgetrennt, wird die Mobilität auf dem Kontinent zweifellos weiterhin bestehen, da Menschen auf der Suche nach Profit und Schutz sowie auf der Durchreise von einem Ort zum anderen in Bewegung bleiben werden. Alle, die Armut oder Verfolgung ausgesetzt sind, bleiben zwar vielleicht – wie es auch jetzt der Fall ist – geografisch sesshaft, doch ihre Position in regionalen wie globalen gesellschaftlichen und materiellen Hierarchien wird auch künftig durch den Verkehr von Waren, Bildern und Ideen geprägt sein. Die dadurch entstehenden Gesellschaftsformen und Vorstellungen von Zeit und Raum bleiben Gegenstand der Spekulation über unsere eigene Zukunft und derjenigen Zukunft, die von den Menschen um uns herum geschaffen wird.
Endnotes:
[1] J. Robinson, »The Urban Now: Theorising Cities Beyond the New«, in: European Journal of Cultural Studies, Bd. 16, Nr. 6, 2013, S. 660. Übersetzung von Alexandra Titze-Grabec.
[2] Siehe L. J. Bank, Home Spaces, Street Styles: Contesting Power and Identity in a South African City, London 2011; D. Potts, Circular Migration in Zimbabwe and Contemporary Sub-Saharan Africa, Kapstadt 2011; A. Portes, »Migration, Development, and Segmented Assimilation: A Conceptual Review of the Evidence«, in: Annals, AAPSS, Bd. 610, 2007, S. 73–97; P. Geschiere, The Perils of Belonging: Autochthony, Citizenship, and Exclusion in Africa and Europe, Chicago 2009; R. Cohen, Custom and Politics in Urban Africa: A Study of Hausa Migrants in Yoruba Towns, Berkeley 1969.
[3] Siehe L. B. Landau und I. Freemantle, »Beggaring Belonging in Africa’s No-Man’s Lands: Diversity, Usufruct and the Ethics of Accommodation«, in: Journal for Ethnic and Migration Studies, Bd. 42, Nr. 6, 2016, S. 933–951; A. Simone, City Life from Jakarta to Dakar: Movements at the Crossroads, New York 2009.
[4] J. Auyero, »The Hyper-Shantytown: Neo-Liberal Violence(s) in the Argentine Slum«, in: Ethnography, Bd. 1, Nr. 1, 2000, S. 111.
[5] A. Mbembe und S. Nuttall, »Writing the World from an African Metropolis«, in: Public Culture, Bd. 16, Nr. 3, 2004, S. 347–372.
[6] Für Bezugnahmen siehe E. Soja, Thirdspace: Journeys to Los Angeles and Other Real-and-Imagined Places, Oxford 1996.
[7] Siehe V. Dzingirai, P. Mutopo und L. B. Landau, Confirmations, Coffins and Corn: Kinship, Social Networks and Remittances from South Africa to Zimbabwe, Migrating out of Poverty Research Programme Consortium, Working Paper 18, Sussex 2014; siehe auch Potts 2011 (wie Anm. 2).
[8] J. Vivet, D. Bregand, R. Olaniyi und A. Spire, »Changing Minority Identities in Urban Africa: Cotonou, Kano, Lomé and Maputo«, in: S. Bekker und L. Fourchard (Hrsg.), Governing Cities in Africa: Politics and Policies, Kapstadt 2013, S. 78.
[9] Ebenda, S. 78.
[10] Dzingirai u. a. 2014 (wie Anm. 7); Geschiere 2009 (wie Anm. 2); Vivet u. a. 2013 (wie Anm. 8), S. 80–81.
[11] P. Kanokode, »Transnational Family Ties, Remittance Motives, and Social Death among Congolese Migrants: A Socio-Anthropological Analysis«, in: Journal of Comparative Family Studies, Bd. 41, Nr. 2, 2010, S. 225–244.
[12] Siehe J. Ferguson, Expectations of Modernity: Myths and Meanings of Urban Life on the Zambian Copperbelt, Berkeley 1999; J. Johnson-Hanks, »On the Limits of Life Stages in Ethnography: Toward a Theory of Vital Conjunctures«, in: American Anthropologist, Bd. 104, Nr. 3, 2002, S. 865–880.
[13] Siehe R. Cazarin, »Pentecostalism and a Global Community of Sentiment: The Cases of Nigerian and Congolese Pastors in Diaspora«, in: O. Bakewell und L. B. Landau (Hrsg.), Forging African Communities: Mobilities, Integration, and Belonging, London 2018, S. 255–275; ebenso T. W. Pogge, »Cosmopolitanism and Sovereignty«, in: Ethics, Bd. 103, Nr. 1, 1992, S. 48–75; V. Roudometof, »Transnationalism, Cosmopolitanism and Glocalization«, in: Current Sociology, Bd. 53, Nr. 1, 2005, S. 113–135.
[14] Siehe S. Vertovec, »Fostering Cosmopolitanisms: A Conceptual Survey and a Media Experiment in Berlin«, in: G. Lenz, F. Ulfers und A. Dallmann (Hrsg.), Toward a New Metropolitanism: Reconstituting Public Culture, Urban Citizenship, and the Multicultural Imaginary in New York and Berlin, Heidelberg 2006, S. 3–10; G. Simmel, The Sociology of George Simmel, übersetzt von K. Wolff, New York 1964.
[15] F. DeBoeck, »Spectral Kinshasa: Building the City through an Architecture of Words«, in: T. Edensor und M. Jayne (Hrsg.), Urban Theory Beyond the West: A World of Cities, London 2012, S. 311–328.
[16] K. Ramakrishnan, »Disrupted Futures: Unpacking Metaphors of Marginalization in Eviction and Resettlement Narratives«, in: Antipode, Bd. 46, Nr. 3, 2013, S. 755.
[17] Siehe S. Oldfield und S. Greyling, »Waiting for the State: A Politics of Housing in South Africa«, in: Environment and Planning A, Bd. 47, Nr. 5, 2015, S. 1100–1112; ebenso C. Jeffrey, »Timepass: Youth, Class, and Time among Unemployed Men in India«, in: American Ethnologist, Bd. 37, Nr. 3, 2010, S. 465–481.
[18] Siehe A. Appadurai, »Deep Democracy: Urban Governmentality and the Horizon of Politics«, in: Public Culture, Bd. 14, Nr. 1, 2002, S. 21–47; J. F. Bayart Global Subjects: A Political Critique of Globalization, Cambridge 2007; D. Mains, »Neoliberal Times: Progress, Boredom, and Shame among Young Men in Urban Ethiopia«, in: American Ethnologist, Bd. 34, Nr. 4, 2007, S. 659–673; Cindi Katz, Growing Up Global: Economic Restructuring and Children’s Everyday Lives, Minneapolis 2004.
[19] Siehe A. Siddiqi, »Architecture Culture, Humanitarian Expertise: From the Tropics to Shelter, 1953–93«, in: Journal of the Society of Architectural Historians, Bd. 76, Nr. 3, 2017, S. 367–384; The Invisible City: Kakuma, dir. L. Corthouts, 2016.
[20] S. Turner, »Suspended Spaces – Contesting Sovereignties in a Refugee Camp«, in: T. B. Hansen und F. Stepputat (Hrsg.), Sovereign Bodies: Citizens, Migrants, and States in the Postcolonial World, Princeton 2005, S. 312–332; L. Malkki, Purity and Exile: Violence, Memory and National Cosmology among Hutu Refugees in Tanzania, Chicago 1995.
[21] B. Rawlence, City of Thorns: Nine Lives in the World’s Largest Refugee Camp, New York 2016, S. 5.
[22] J. Rast, »Why History (Still) Matters: Time and Temporality in Urban Political Analysis«, in: Urban Affairs Review, Bd. 48, Nr. 1, 2012, S. 6.
[23] S. A. Dalberto, H. Charton und O. Goerg, »Urban Planning, Housing and the Making of ›Responsible Citizens‹ in the Late Colonial Period: Dakar, Nairobi and Conakry«, in: S. Bekker und L. Fouchard (Hrsg.), Governing Cities in Africa, Kapstadt 2013, S. 43–64.
[24] Siehe D. Collier und R. B. Collier, Shaping the Political Arena: Critical Junctures, the Labor Movement, and Regime Dynamics in Latin America, South Bend 1991; I. Katznelson, City Trenches: Urban Politics and the Patterning of Class in the United States, Chicago 1981.
[25] Rast 2012 (wie Anm. 21), S. 9.
[26] C. Schmid, »Patterns and Pathways of Global Urbanization: Towards Comparative Analysis«, in: N. Brenner (Hrsg.), Implosions / Explosions: Towards a Study of Planetary Urbanization, Berlin 2014, S. 203–217.
[27] See D. Massey, Space, Place, and Gender, Minneapolis 1994.